Theodor Gülchergasse 9

Theodor Gülcherg. 9

Ehemaliges Herrenhaus der Textilfabrik Gülcher. (Das Haus steht unter Denkmalschutz.)

Auf den Flächen der „Unteren Mühle“ entstand um 1816 eine Papierfabrik, die 1843/44 vom Fabrikanten Gülcher zu einer Spinnfabrik umgebaut wurde. Nach weiteren wechselhaften Jahren wurden die Fabriksgebäude Anfang des 21. Jahrhunderts abgerissen.

Standort:

Unterwaltersdorf, Theodor Gülchergasse 9

Geschichte

Ein Fabrikant verschreibt sich der Schulentwicklung
Die Tuchfabrik Sternickel & Gülcher war im frühen 19. Jahrhundert das größte Industrieunternehmen von Bielitz an der heutigen polnisch – tschechisch – slowakischen Grenze. Die Firma kaufte 1842/43 in Unterwaltersdorf die Papierfabrik, die 1785 am Areal der Unteren Mühle entstanden war. Die neuen Besitzer ließen die Fabrik zu einer Spinnfabrik umbauen, die ab 1844 voll in Betrieb war.

Das Werk sah gute Zeiten und weniger gute Zeiten und es bot über Jahre und Jahrzehnte viele Arbeitsplätze. Der Textilbetrieb lief knappe 120 Jahre, bis 1961/62 Konkurs angemeldet werden musste. Die Tierfuttermittelfirma Gubik zog ein. Danach standen die Gebäude über Jahre leer, um vor einigen Jahren abgerissen zu werden.

Wo und wann genau Theodor Gülcher das Licht der Welt erblickte ist bis dato unbekannt. Obwohl die Familie schon nach kurzer Zeit mit dem Dorfleben verwoben war, dürfte doch ihr Lebensmittelpunkt noch lange wo anders gelegen sein, vermutlich in Wien. Theodor wurde jedenfalls weder in Unterwaltersdorf geboren, noch hier begraben. Er war zum Zeitpunkt des Erwerbes der Papierfabrik durch seine Familie rund 18 Jahre alt.

Als der „Schafwollwaaren-Fabrikant“ Theodor Gülcher, genau Theodor Jakob Gülcher, am 14. Februar 1875 50-jährig stirbt, bezeichnet ihn Oberlehrer Karl Haagen als „großen Freund und Wohlthäter der Kinder“.

Mit zunehmender Zahl der Fabriken wuchs im 19. Jahrhundert auch die Zahl der Einwohner rasant und somit auch die der Schulkinder, die nach wie vor in einem einzigen Schulzimmer im Torhaus des Kirchhofes unterrichtet wurden. Die Landesbehörde verlangte ultimativ den Um- bzw. Neubau der Volksschule. Wenn nicht unverzüglich gebaut werden würde und überdies nicht sofort ein provisorisches zweites Klassenzimmer zur Verfügung stehe, würde einer der zwei Lehrer abgezogen. Theodor Gülcher, seineszeichens auch Obmann des „Ortsschulrates“ , stellte bis zur Fertigstellung einer neuen Schule Räumlichkeiten für eine zweite Klasse unentgeltlich zur Verfügung.

Oberlehrer Haagen weiß noch von anderen „Wohlthaten“ Gülchers zu berichten. Als wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten durch den Bauleiter die Finanzierung und die zeitgerechte Fertigstellung der neuen Schule am Hauptplatz (heute Musikschule) gefährdet sind, stellt der Fabrikant seinen Fabriksmaurer als Bauleiter zur Verfügung, „einen in seinem Fache sehr tüchtigen Mann“.

Für heutige Bauherren/frauen und FertigteilhausbesitzerInnen sind folgende Daten sicher interessant: Baubeginn: 16.3.1874. Erster Unterrichtstag: 1.10.1874. Dabei war innerhalb dieses Zeitraumes auch noch ein Vorgängerbau abzubrechen.

Natürlich hatte der Gönner bei der Eröffnungsfeier am 29. September eine tragende Rolle, und seine Töchter legten selbst Hand an und sorgten für festlichen Schmuck in der Schule. Die Honoratioren feierten nach dem offiziellen Festakt noch lange in Gülchers Wohnung. „… und beim Knallen der Champagnerpröpfe wurde noch manch gutes Wort gesprochen dem Fortschritte und der Schule zu Ehren.“

Theodor Gülcher hatte schon Jahre vor dem Schulneubau den Grundstein für eine Schülerbibliothek gelegt und nun stellt er für die Aufbewahrung neuer Tierpräparate, der Herbarien und der Mineraliensammlung einen „Weltausstellungskasten“ zur Verfügung. So wird die neue Schule langsam zu einer „Musterschule“, wie der Oberlehrer sagt.

Als 1874 die Unterwaltersdorfer und Schranawander Schulkinder erstmals einen Christbaum zu Gesicht bekommen, schreibt der Chronist: „Die Veranlassung dazu gab wie immer bei Kinderfesten der so große Kinderfreund Hr. Theodor Gülcher.“ Im Rahmen dieser Feier werden 12 arme Kinder mit Kleidung bedacht.

Wenige Wochen später muss Lehrer Haagen vom Tod des Fabrikanten und Gönners der Schule und ihrer Kinder berichten: „Schmerzlich war die Nachricht von dem Ableben desselben; aber wenn er auch den Augen entschwunden ist, so ist doch noch sein Bild und Name mit unauslöschlichen Zügen auf dem Grunde der Kinderherzen gezeichnet. Friede seiner Asche!“

Literatur:

  1. Homepage der Stadt Bielsko – Biala
  2. Vom Hauptplatz kommend die Gülchergasse runter. Bevor man der 90-Grad-Kurve nach rechts folgt, linker Hand.
  3. Herbert Hacker, Rudolf Pelz, Ernst Mayer: Die Gülcher Fabrik. Ebreichsdorfer Gemeindezeitung Nr. 2 – 2001
  4. Wiener Zeitung vom 18.2.1875. Todesursache: Lungenentzündung
  5. Ab hier dient die Chronik der Volksschule Unterwaltersdorf als Quelle
  6. Ortsschulrat: Vergleichbar dem heutigen Schulausschuss im Gemeinderat. Hatte allerdings mehr Kompetenzen.
  7. Wir dürfen also davon ausgehen, dass die Firma Gülcher 1873 an der Weltausstellung in Wien als Aussteller teilgenommen hat. Bei dem Möbelstück dürfte es sich um eine Vitrine gehandelt haben.
  8. Abschließend soll, ohne Gülchers Verdienste schmälern zu wollen, darauf hingewiesen werden, dass hinter dem Engagement auch ein Quäntchen Eigennutz steckte. Aber das ist ja heute auch nicht anders, bei Fabrikanten, Politikern und bei uns Normalsterblichen.

Dr. Ernst Mayer ©